Der Einsatz von KI im Business-Kontext ist nicht länger nur den Spezialisten vorbehalten. Es gilt, die Belegschaft für KI-Anwendungen in der Breite zu trainieren und zu motivieren, sagt Holger Mägdefrau. Der Chief Financial Officer (CFO) des internationalen Medizin- und Hygieneproduktanbieters Lohmann & Rauscher kann im eigenen Unternehmen bereits Effizienz- und Produktivitätsgewinne durch den Einsatz von GenAI feststellen. Wie KI-Projekte auch in stark regulierten Branchen zur Win-Win-Situation werden, erklärt er im Interview.
Handelsblatt Research Institute
Herr Mägdefrau, welche Technologietrends werden in den kommenden fünf Jahren den größten Einfluss auf die Healthcare-Branche haben?
Holger Mägdefrau
Den größten Einfluss dürften digitale Plattformen haben. Insgesamt ist dies keine neue Technologie, aber unsere Branche ist erst seit Kurzem dabei, dies intensiver zu nutzen. Wir arbeiten beispielsweise mit einem Start-up zusammen, das eine Plattform für Dermatolog:innen entwickelt hat. Patient:innen können dort Bilder hochladen und sich eine ärztliche Meinung einholen, ohne in eine Praxis gehen zu müssen. Dies verringert den Aufwand für die Patient:innen sowie die Ärzt:innen. Zugleich helfen Plattformen dabei, mit dem Ärztemangel umzugehen. Und für die Krankenkassen zahlt es sich in Form geringerer Kosten aus.
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Steigt auch der Einfluss von Künstlicher Intelligenz?
Holger Mägdefrau
Ja, gerade im Bereich der Mustererkennung sind intelligente Anwendungen teilweise schon so gut wie die Ärzt:innen. Die Technologie ist da. Und die Daten sind es auch. Nun dauert es noch ein paar Jahre – eventuell auch länger als 2030 – bis die Anwendungen vermehrt zur Verfügung stehen. Diese unterstützen dann die Ärzt:innen bei der Diagnose, werden sie aber nicht ersetzen. KI beschleunigt die Prozesse. Grundsätzlich benötigt die KI-Implementierung in unserer Branche jedoch mehr Zeit als in anderen Branchen.
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Aus welchem Grund?
Holger Mägdefrau
Es liegt vor allem an der Regulierung. Die Anwendungen müssen als Medizinprodukt zugelassen werden. Und diese Technologien sind natürlich auch für die Zulassungsstellen neu, sodass die Prüfung unter Umständen länger dauert.
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Gibt es weitere Trendtechnologien, die in Ihrer Branche künftig eine besonders wichtige Rolle spielen werden?
Holger Mägdefrau
Ja, das trifft auf Robotic Process Automation (RPA) und Data Science zu. RPA ist eng verbunden mit maschinellem Lernen und hat gerade im Bereich der Administration ein großes Potenzial. Beispielsweise Ärzt:innen, Wissenschaftler:innen oder Klinikpersonal können von administrativen Routineprozessen befreit werden.
Und mit Data Science besteht die Möglichkeit, die Qualität der Datenbasis zu verbessern. Eine hohe Datenqualität ist die Grundvoraussetzung für nahezu alle künftigen Anwendungen in unserer Branche – insbesondere für digitale Plattformen und KI.
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Sie sprachen schon die Regulierung an. Welchen Effekt hat diese auf den Einsatz neuer Technologien in Ihrer Branche?
Holger Mägdefrau
Aufgrund der höheren Sicherheitsanforderungen, die in der Regulierung zum Ausdruck kommen, braucht es im Healthcare-Bereich immer etwas länger im Vergleich zu anderen Branchen, bis neue Technologien eingeführt werden.
Im Hinblick auf die Daten, die für viele Anwendungen künftig die Basis sind, greift bei Patienteninformation darüber der Datenschutz besonders strikt.
Allerdings ergibt sich daraus auch ein Vorteil. Als Nachzügler sehen wir durch andere Unternehmen, was mit – zum Teil neuer – Technologie auch nicht funktioniert. Dadurch vermeiden wir Enttäuschungen.
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Haben KI-Technologien auch für die Entwicklung Ihres Unternehmens eine wichtige Bedeutung?
Holger Mägdefrau
Ja, definitiv. Auch generative KI spielt eine große Rolle für uns. Wir haben im Unternehmen eine eigene Plattform auf Chat-GPT-Basis eingeführt, wobei gewährleistet ist, dass unsere Daten im Unternehmen verbleiben. Hier zeigt sich ein großes Potenzial, gerade im Hinblick auf eine gesteigerte Produktivität.
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Welche weiteren Mehrwerte erwarten Sie?
Holger Mägdefrau
Aus meiner Sicht gibt es hier zwei große Bereiche. Da ist erstens die Rationalisierung, die sich mit KI beispielsweise in der Produktion oder auch Administration bietet. Der zweite Bereich ist Diagnose und Behandlung. Hierbei stehen wir zwar erst noch am Anfang, aber das verspricht großes Potenzial.
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Wie sind Ihre Erfahrungen bei den aktuellen KI-Anwendungen im Unternehmen? Erzielen Sie bereits spürbare Mehrwerte?
Holger Mägdefrau
Ja, in der Tat. Mit der eigenen ChatGPT-Anwendung steigern wir die Effizienz. Die Beschäftigten finden schneller die benötigten Informationen.
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Welche Faktoren sind dabei entscheidend für den Erfolg bei KI-Projekten?
Holger Mägdefrau
Aus meiner Sicht ist der Erfolg von KI-Projekten maßgeblich mit den Beschäftigten verbunden. Es geht darum, wie gut wir es schaffen, die Belegschaft für KI zu trainieren – in der Breite, nicht als Spezialisten. Außerdem ist es erforderlich, sie zu motivieren, die Anwendungen dann auch zu nutzen.
Darüber hinaus ist es in unserer Branche wichtig, dass bei der Entwicklung der Anwendungen alle Stakeholder miteinbezogen werden. Nur wenn die Unternehmen, die Krankenkassen, das Ärzt:innen, die Pflegekräfte am Ende mit der Anwendung einen Mehrwert erzielen, es also für alle ein Win ist, wird es ein Erfolg.
Holger Mägdefrau ist Chief Financial Officer (CFO) bei Lohmann & Rauscher (L&R), wo er u.a. die Bereiche Organisation & IT, Human Resources, Finance sowie Qualitätsmanagement verantwortet.
L&R ist ein führender internationaler Anbieter von Medizin- und Hygieneprodukten sowie Dienstleistungen in den Bereichen Wundmanagement, Binden und Bandagen sowie Set-Systeme und Hygiene.
Aus meiner Sicht ist der Erfolg von KI-Projekten maßgeblich mit den Beschäftigten verbunden. Es geht darum, wie gut wir es schaffen, die Belegschaft für KI zu trainieren – in der Breite, nicht als Spezialisten. Außerdem ist es erforderlich, sie zu motivieren, die Anwendungen dann auch zu nutzen. Eine hohe Datenqualität ist die Grundvoraussetzung für nahezu alle künftigen Anwendungen in unserer Branche – insbesondere für digitale Plattformen und KI.
Holger Mägdefrau, Chief Financial Officer, Lohmann & Rauscher
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