Der Fortschritt nimmt Anlauf in gemächlichem Tempo. „Zwar haben einige Unternehmen den Marktstart ihrer vollautonomen Fahrzeuge verschoben, aber bei fortgeschrittenen Fahrassistenzsystemen der Level 2 und 3 sehen wir große Sprünge und zunehmend mehr Autos mit diesen Funktionen auf der Straße“, sagt Kersten Heineke, Partner bei McKinsey und Co-Autor der Studie „Autonomous driving’s future: Convenient and connected“.
Anders in China oder den USA – dort fahren bereits Robotaxis und andere autonome Fahrzeuge auf den Straßen. Von derlei Initiativen sind die deutschen Hersteller weit entfernt. Sie haben sich auf ein vorsichtiges Vorgehen geeinigt.
VW testet autonome Fahrzeuge in Hamburg
Bei Mercedes, BMW und Ford gibt es immer wieder neue Anläufe für Autos mit fortgeschrittenen Fahrassistenten und hochautomatisierten Funktionen. Doch über Fahrzeuge mit Level-2- oder Level-3-Systemen (siehe „5 Stufen des Autonomen Fahrens“ unten), bei denen die Verantwortung beim Fahrer liegt, kommen sie auf öffentlichen Straßen bislang nicht hinaus. Stattdessen laufen ausführliche Tests mit fahrerlosen Fahrzeugen vor allem in privaten Betriebsbereichen, die zum Sammeln von Daten eingesetzt werden. Eine Ausnahme ist VW: Das Unternehmen setzt über die Tochtergesellschaft Moia mit dem Alike-Projekt seit Ende vergangenen Jahres 25 autonome Shuttle-Busse in Hamburg in einem Praxisversuch ein.

Bei Mercedes prognostiziert Entwicklungsvorstand Markus Schäfer, dass es zum Ende des Jahrzehnts Level-4-Fahrzeuge auf den Straßen geben solle. Damit folgt er dem Zeitplan der „Strategie der Bundesregierung für autonomes Fahren im Straßenverkehr“. Dort heißt es: „Bis 2030 wollen wir autonomes Fahren als festen Bestandteil in ein verkehrsträgerübergreifendes und vernetztes Mobilitätssystem integrieren.“
KI macht autonomes Fahren sicher
Selbstfahrende Fahrzeuge funktionieren durch eine komplexe Kombination von Künstlicher Intelligenz (KI), Machine-Learning-Systemen, Software, Sensoren und Prozessoren. Die hohen Mengen der bei jeder Fahrt entstehenden Datenströme von Kameras, Radar und Lidar (lasergesteuerte Entfernungsmessung) verarbeiten auf einem Chip integrierte KI-Systeme. Neben den Echtzeit-Informationen werden die KI-Algorithmen von Fahrzeug-Daten, die auf öffentlichen Straßen Milliarden Kilometer zurückgelegt haben, trainiert. Hinzu kommen Satelliten-Netzwerke, denn Mobilfunknetze reichen für die Übertragung der riesigen Datenmengen, die in autonomen Verkehr anfallen, nicht aus.
Die kontinuierlich einströmenden digitalen Informationen wandeln Aktoren in mechanische Funktionen um. Dazu gehören Fahraufgaben wie beispielsweise Steuern, Beschleunigen, Verzögern oder der Betrieb der Klimaanlage. Dieser Mix aus hoch entwickelten Technologien soll die autonomen Fahrzeugen mit Fähigkeiten und Kenntnisse ausstatten, die am Ende jeden menschlichen Fahrer übertreffen. Das betrifft vor allem die Verkehrssicherheit.
Weit weniger Schadensfälle mit KI-Autos
Eine Studie von Swiss Re von über 40 Millionen gefahrenen Kilometern der autonomen Fahrzeuge des Autoherstellers Waymo zeigte, dass sie im Vergleich zu den von Menschen gesteuerten Fahrzeugen rund 90 Prozent weniger Versicherungsschäden verursachten. Diese Informationen stammen aus Versicherungs-Datenbanken mit Haftungsansprüchen aus Autounfällen.
Verglichen wurden Fahrten autonomer Autos mit menschlichen Fahrern. Über eine Strecken von 3,8 Millionen Meilen trafen bei Waymo mit autonomen Fahrten keine Unfälle mit Haftungsansprüchen auf.
Dagegen lag der Wert für menschlich gesteuerte Fahrzeuge bei durchschnittlich 1,11 Verletzungen durch Unfälle pro eine Million Meilen. Bei reinen Sachschäden erreichten die autonomen Fahrzeuge einen Wert von 0,78 Schäden, die menschlichen Fahrer verursachten 3,26 Schäden pro Million Meilen.
Um Unfallschäden zu verringern oder möglichst ganz zu vermeiden, unterstützen fortgeschrittene Fahrassistenzsysteme die Fahrer. Diese Komfort und Sicherheit bietenden Systeme sind bei den Kunden sehr gefragt, wie die Studie „Autonomous driving’s future: Convenient and connected“von McKinsey zeigt. Ein Viertel der rund 25.000 befragten Kunden meldete, dass sie bei ihrem nächsten Fahrzeugkauf sehr wahrscheinlich auf ein fortgeschrittenes Fahrassistenzsystem Wert legen würden. „Aus Kundensicht ist das assistierte Fahren sehr attraktiv – es kann die Automobilität sicherer, angenehmer und produktiver machen“, sagt Kersten Heineke, Partner von McKinsey und Co-Autor der Studie.
KI lässt Automarkt sprunghaft wachsen
Für Unternehmen der Softwarebranche und für Automobilzulieferer bedeutet die Entwicklung fortgeschrittener, KI-gestützter Fahrerassistenzsystemen bis hin zum autonomen Fahren eine beachtliche Einnahme-Chance. Mit einer jährlichen Steigerung von 15 bis 20 Prozent wird der Markt für Fahrassistenzsysteme und autonomes Fahren für Privatfahrzeuge von rund 50 Milliarden US-Dollar 2023 auf 300 bis 400 Milliarden US-Dollar im Jahr 2035 wachsen.
Denn die Hightech-Fahrassistenzsysteme benötigen leistungsfähige Programme. Hier sind innovative KI-Technologien in der Automobilsoftware der große Antrieb. Die Experten von McKinsey prognostizieren allein für dieses Segment eine weltweite Steigerung von 19,0 Milliarden US-Dollar im Jahr 2023 auf 32,3 Milliarden US-Dollar im Jahr 2030.
Neue Autogeneration am Start
Wie die Software in Verbindung mit Künstlicher Intelligenz bereits in neuen Autogenerationen verwendet werden kann, zeigt ein Anfang 2025 vorgestelltes Konzept von Continental. Im „Intelligent Vehicle Experience Car” stecken technologische Innovationen für die Interaktion zwischen Auto und den Fahrenden. Die Lösungen könnten in den nächsten drei bis fünf Jahren in Serie gehen, ist sich der Hersteller sicher.
Das Ziel ist die Gewöhnung des Fahrers an KI-Funktionen, die allmählich seine Aufgaben übernehmen. Dabei setzt die Fahrzeug-KI auf gewohnte und bewährte Technologien wie die biometrische Gesichtserkennung. „Das Auto ist auf dem besten Weg, ein intelligentes ‚Gerät‘ zu werden, ähnlich einem Smartphone, das biometrische Technologien nutzt, um das Nutzungserlebnis auf ein neues Niveau von Sicherheit und Komfort zu heben“, steht für Jean-François Tarabbia, Head of Architecture and Network Solutions bei Continental, fest.
KI weiß, was Fahrer*innen wollen
Im intelligenten Auto erkennt Künstliche Intelligenz die Absichten der Fahrer*innen, versteht den Kontext und personalisiert die Interaktion. Für diese Funktionen werden KI-Algorithmen und Daten aus der Fahrzeugsensorik kombiniert, die für verschiedene Anwendungen bereits im Fahrzeug eingebaut sind. Zum Beispiel können 360-Grad-Kameras, die für einen Parkassistenten verwendet werden, gemeinsam mit bewährter Ultrabreitband-Radarsensorik auch zur Identifizierung von Personen zum Einsatz kommen.
Im nächsten Schritt übernimmt die KI Aufgaben im Fahrzeuginnenraum. Hier soll die Funktionalität des Innenraums mit den Erwartungen der Fahrzeuginsassen zusammenwirken. So soll KI individuelle Fahrstile wie Bremsvorgänge, Überhol- und Beschleunigungsmanöver erkennen und übernehmen. All diese Verhaltensweisen sind individuell ausgeprägt. Würde künftig eine KI das Auto fahren, könnte sie zwar unfallfrei navigieren, aber den Nutzer durch unpassendes Fahrverhalten irritieren. Algorithmen und Erfahrungswerte bringen der KI angemessenes Verhalten bei.
Wenn die Maschine die Eigenheiten und Wahrnehmungen des Fahrers in ihr eigenes Verhalten übernimmt, wirkt sich das auf die Zufriedenheit der Nutzer aus und steigert so die Akzeptanz für selbstfahrende Fahrzeuge. Schon jetzt erkennt KI die Blickrichtung und den Grad der Aufmerksamkeit des Fahrers.
Künftig sollen neben Sensoren zur Sprach- und Gesichtserkennung auch neuentwickelte medizinische Sensoren hinzukommen, die Herzschlag, Blutzucker und Blutdruck erfassen. „Das Cockpit von morgen bedeutet für unsere Entwicklung eine immer stärkere Trennung von Soft- und Hardware sowie die konsequente Öffnung für Open-Source-Software aus vielen Quellen und damit auch für neue Geschäftsmodelle“, sagt Dr. Karsten Michels, Head of Product Line High-Performance Computer (HPC) bei Continental Automotive.
Warnung vor KI-Hackern
Doch das KI-gesteuerte Fahrzeug kann auch durch Missbrauch sozusagen auf die schiefe Bahn geraten, sorgt sich das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) in seinem Bericht „Künstliche Intelligenz – das unheimlich autonome Fahrzeug“.
Schließlich basiert das Wissen der KI auf Datensätzen, die sie auf ein festgelegtes Ziel ausrichtet. In solche Informationsflüsse „können Angreifer durch die Manipulation der Trainingsdaten gezielt falsche Entscheidungsprozesse als Hintertüren einschleusen.“ Aufgrund der Komplexität der Datenmenge sei es schwierig, die Schwachstellen zu finden, die zu schwerwiegenden Fehlentscheidungen führen können.“ Dies sei die informationstechnische Schattenseite von KI-Systemen, warnt das BSI.
Die fünf Stufen des Autonomen Fahrens
Welche Automatisierungsstufen die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) festlegt
Stufe 1: Der Fahrer beherrscht das Fahrzeug
Der Fahrer muss den Verkehr ständig im Blick behalten. Bei Verkehrsverstößen und Schäden ist der Fahrer verantwortlich. Einzelne Assistenzsysteme unterstützen bei bestimmten Fahraufgaben.
Stufe 2: Der Fahrer steuert das Auto – mit Ausnahmen
Fahrzeuglenker muss den Verkehr ständig beachten. Für Verkehrsverstöße und Schäden haftet der Fahrer Das Fahrzeug kann nach Vorgaben die Spur halten, bremsen und beschleunigen.
Stufe 3: Fahrer im Standby-Modus
Das Auto kann in definierten Anwendungsfällen eigenständig fahren. Auf Anforderung des Systems muss der Fahrer kurzfristig wieder ans Steuer. Der Hersteller haftet bei Unfällen und bei Technikversagen während des autonomen Fahrens.
Stufe 4: Fahrer wird zum Passagier
Das Auto darf sich selbstständig auf Autobahnen oder in Parkhäusern bewegen. Es darf dann auch ohne Insassen fahren.
Die Passagiere müssen nicht auf den Verkehr achten. Sie können während der Fahrt lesen oder arbeiten. Das System erkennt seine Grenzen und kann einen sicheren Zustand erreichen.
Ab dieser Stufe der vollautomatisierten Fahrt haften die Passagiere nicht für Verkehrsverstöße oder Schäden.
Stufe 5: Passagiere ohne Fahraufgabe
Auch ohne Insassen darf sich das Fahrzeug bewegen. Die technischen Systeme navigieren das Auto durch sämtliche Verkehrssituationen.